Wie es so ist, in den Zeiten von Corona eine Lehrerin kurz vor der Rente zu sein

Digitalisierung, Fernunterricht, Homeoffice: Interview zum Schulalltag mit einer Gymnasiallehrerin für Sprachen, 64 Jahre

Schule (c) Bild von Luisella Planeta Leoni auf Pixabay

Wie sah vor Corona ein normaler Arbeitstag aus?

Nach Ankunft in der Schule habe ich mich an der elektronischen Anzeigentafel im Lehrerzimmer und über das Postfach im Sekretariat über Änderungen, die seit dem Vortag eingetreten waren (Vertretungen, Aufsichten, unvorhergesehene Raumwechsel etc.), informiert und Absprachen mit Kollegen getroffen. Danach legte ich die bis zur Pause benötigten Unterlagen bereit und überprüfte, ob sich in den einzelnen Klassenräumen die Medien einsetzen ließen (Computer, Beamer, Lautsprecher). Die Zeit vor Unterrichtsbeginn und die Pausen nutzten die Schüler*innen, um organisatorische Fragen etc. zu stellen. Die Pausen verbrachte ich möglichst im Lehrerzimmer mit Gesprächen mit Kollegen, wenn ich nicht zur Aufsicht eingesetzt war, etwas kopieren musste oder mir einen Kaffee aus dem Automaten holte. Freistunden nutzte ich dazu, Verwaltungsarbeiten zu machen: Noten und Bemerkungen in das schuleigene Computersystem einzugeben, Elternkontakte anzubahnen, mit Unternehmen wegen Schulveranstaltungen zu telefonieren, Termine für Schulaufgaben abzusprechen und festzulegen etc.

Nach Unterrichtsende arbeitete ich weitgehen zuhause. Das betrifft Unterrichtsvorbereitung, Nachbereitung und Korrekturen und Weiterbildung. Diese Zeit konnte ich frei planen: auf Nachmittag, Abend und Wochenende verteilt.

Was hat sich an deinem Berufsalltag verändert und wie bewertest du diese Veränderungen?

Die tiefgreifendste Veränderung ist natürlich das Fehlen des direkten Kontakts mit den Schüler*innen. Man erlebt sie nicht in der Interaktion in der Klasse und im Schulgebäude und bekommt viele kleine, aber vielleicht bedeutsame Dinge nicht mit. Beim Videounterricht ist es schwierig, alle Schüler*innen einzubinden, da immer nur eine/r sprechen kann und man bestenfalls das Gesicht sieht und die Stimme hört. Es ist die Entscheidung der Schüler*innen, ob sie aktiv teilnehmen oder sich gleichzeitig mit etwas anderem beschäftigen. Das kann die Lehrkraft nicht wirklich erkennen. Entsprechend können auch der Lernfortschritt und etwaige Probleme nicht zeitnah überprüft werden.

Lockerheit und Spontaneität im Unterricht gehen verloren, alles wird trockener und anstrengender. Der Aufwand für die Vorbereitung wurde höher, weil nur vorfabrizierte Filme oder Dokumente gezeigt werden können und nicht spontan etwas an der Tafel entwickelt und hochgeladen werden kann. Sämtliche Materialien, Aufgaben und Lösungen müssen so aufbereitet werden, dass die Schüler*innen selbstständig damit zurechtkommen, wenn sie sie in der schuleigenen Cloud herunterladen. Darüber hinaus stehen sie mit mir über das Schulportal und per E-Mail in Kontakt, um mir ihre Lösungen zuzuschicken und Fragen stellen zu können. Wenn Schüler*innen am Videounterricht nicht teilnehmen oder die festgesetzten Bearbeitungstermine nicht einhalten, muss ich sie oft mehrfach per E-Mail oder Telefon mahnen oder gegebenenfalls die Eltern kontaktieren. Da macht es sich besonders negativ bemerkbar, dass man wegen des fehlenden normalen Kontakts nicht weiß, in welcher Situation sich die Schüler*innen oder die Familie befindet. Die diesbezügliche Kontaktaufnahme mit Kollegen ist ebenso erschwert.

Durch die online-Kontakte zu Schüler*innen, Eltern, Kollegen und Schulleitung ist die Arbeitszeit stark entgrenzt, da häufig dringende Anfragen und Anweisungen kommen, die schnell erledigt werden müssen.

Die Schüler*innen erleben den Distanzunterricht unterschiedlich: Manchen fehlt die direkte Ansprache und Kontrolle durch den Unterricht, trauen sich nicht, Fragen zu stellen oder nehmen die Hausaufgaben nicht ernst genug, haben Schwierigkeiten, sich selbst zu organisieren und verschlechtern sich leistungsmäßig. Andere nützen die Zeit zur gründlichen Wiederholung, genießen die 1:1-Betreuung durch die Lehrkraft und sind froh, einem negativen Einfluss der Klassenkamerad*innen nicht ausgesetzt zu sein.

Ein Großteil der Vorbereitungszeit besteht in der Suche nach geeigneten vorgefertigten Materialien, z.B. Videoclips, Erklärvideos etc. im Netz. In meinem Fall betrifft das nicht nur deutschsprachige, sondern auch Portale in anderen Ländern, die Französischmaterialien zur Verfügung stellen. Nicht alles Geeignete lässt sich herunterladen und einsetzen. Selbst wenn das der Fall ist, können aus technischen Gründen oft nicht alle Schüler*innen eingespielte Materialien sehen und hören. Außerdem sind Datenschutzrichtlinien zu beachten. Dies betrifft auch die Teilnahme der Schüler am Videounterricht und die Zusendung der Korrekturen.

Der Unterricht kann nicht mehr so abwechslungsreich gestaltet werden, da manche Arbeitsformen (Partner-, Gruppenarbeit, Projekte) wegen der Abstandsregeln nicht gewählt werden können. Es ist schwieriger, Abwechslung und motivierende Elemente zu bieten.

Wie erlebst du deinen Arbeitgeber in diesen Zeiten?

Schulleitung und Kultusministerium sind sehr bemüht, für die Schüler*innen einen qualitätvollen Unterricht sicherzustellen. Deshalb kommen mehrmals täglich E-Mails mit neuen Vorgaben, die sofort umgesetzt werden müssen. Die wöchentlichen Kurzkonferenzen wurden durch nachmittägliche Videokonferenzen ersetzt, die allerdings länger dauern und bei denen wegen der großen Anzahl der Teilnehmer kaum Möglichkeit zur Diskussion besteht. Die Schulcloud und Konferenzportale waren in der ersten Woche nach Schulschließung einsetzbar und werden gut durch Informatiklehrer, die von der IT-Abteilung des Schulträgers unterstützt werden, betreut.

Wie ist die Zusammenarbeit mit deinen Kolleg*innen unter Corona-Bedingungen?

Es ist deutlich schwieriger, Kontakt aufzunehmen. Dadurch und wegen der Fülle der Anweisungen durch Schulleitung und Kultusministerium bleibt wenig Zeit, sich auszutauschen. Es läuft im Wesentlichen alles über das Schulportal, wobei man sich auf das Wesentlichste beschränkt. Kurz: Man bekommt weniger mit, was bei den Kolleg*innen läuft. Das betrifft positive und negative Erfahrungen sowie Anregungen und Zwischenmenschliches. Man wird zum Einzelkämpfer.

Welche Vor- und welche Nachteile siehst du am Home Office?

Zunächst entfällt natürlich der Weg zur Arbeit. Der unterrichtliche Stress ist reduziert, da man sich besser auf das Unterrichten konzentrieren kann und viele Störfaktoren ausgeschaltet sind. Es gibt keine Pausenaufsichten und Vertretungsstunden. Dafür hat sich die Arbeitszeit stark verlängert, da die Hausaufgaben einzeln schriftlich korrigiert und die Fehler und Lösungsmöglichkeiten individuell erklärt werden müssen. Dies bietet für Schüler*innen natürlich auch eine große Chance zur Verbesserung. Es gibt ihnen allerdings auch die Möglichkeit, sich ihren Pflichten zu entziehen und darauf zu vertrauen, dass es nicht bemerkt und angemahnt wird. Wegen der Fülle der täglichen Online-Nachrichten ist es nötig, eigentlich ständig verfügbar zu sein, da man sonst den Arbeitsanfall nicht bewältigt. 

Die meisten Materialien, die ich in langen Jahren für den Präsenzunterricht erstellt hatte, kann ich für den Distanzunterricht nicht nutzen. Dies betrifft auch Material für Gruppenarbeit, das sehr viel Aufwand erfordert hatte, aber sich bewährt hatte. Diese Arbeitsform ist nun nicht mehr möglich. Ich muss praktisch alles neu entwerfen im Bewusstsein, dass ich es wegen des bevorstehenden Ruhestands nur einmal verwenden kann.

Was würdest du dir wünschen für deinen Arbeitsplatz?

Ich verfüge über ein eigenes Arbeitszimmer, in dem ich ungestört arbeiten kann. Wichtig wäre ein von der Schule gestelltes Laptop, mit dem man problemlos alle Aufgaben erledigen kann: Natürlich mit Internet und Zugriff auf die Schulcloud, Videokonferenzportale, die Bildungsserver, aber auch die schulische Datenverwaltung mit Einbindung in die Systembetreuung.

Das Interview führte im Sommer 2020 Kathrin Henneberger. Sie arbeitet im Bischöflichen Generalvikariat Aachen in der Abt. Pastoral in Lebensräumen.