Gerechte und menschenfreundliche Arbeit auch für prekär Beschäftigte ermöglichen

Fairness bezieht sich nicht nur auf den Lohn, sondern auch auf Arbeitsbedingungen und Rechte, sagt Theologin Prof. Dr. Ursula Nothelle-Wildfeuer

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Arbeitsbeziehungen und Arbeitsbedingungen menschenwürdig ausgestalten: Das ist die bleibende Herausforderung, welche die Katholische Soziallehre uns seit vielen Jahrzehnten aufträgt. Das gilt auch für die wachsende Zahl von prekär Beschäftigten, sie gehören neu in den Blick gerückt.

Diese Forderung erhob Prof. Dr. Ursula Nothelle-Wildfeuer in einem Grundsatzvortrag bei der Bundesdelegiertenversammlung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung im Juni 2021. Die Freiburger Theologin richtete sich dabei auch an Kirche und Gewerkschaften, die mit gutem Beispiel vorangehen müssten.

Mehr dazu im Vortragstext, den wir im Folgenden im Wortlaut auf www.projekt-arbeitsleben.de dokumentieren. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung!

 

Einleitung

Dass Arbeit immer wieder im Mittelpunkt des Interesses steht, liegt darin, dass die menschliche Arbeit, wie es Papst Johannes Paul II. formuliert, „ein Schlüssel, und wohl der wesentliche Schlüssel in der gesamten sozialen Frage“ (LE 3,2) ist, sie ist seit der Industrialisierung ein Seismograf für die Entwicklung einer Gesellschaft und deren Ausrichtung am Maßstab sozialer Gerechtigkeit.

1. Die Würde der menschlichen Arbeit wurzelt in ihrer subjektiven Dimension.

Die christliche Sozialethik sieht die Arbeit eng mit der personalen Würde des Menschen verbunden, Arbeit ist zu verstehen als Ausdruck menschlicher Würde und bekommt dadurch auch selbst ihre Würde.

Das ist schon biblisch grundgelegt: Zwar wird Mühsal und Anstrengung von Arbeit keineswegs bestritten, aber das macht nicht ihr Spezifikum aus. Ursprünglich ist Arbeit ein existentieller Vollzug des Menschen, es ist das, was dem Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes als Bewahrung und Weiterentwicklung der Schöpfung von Gott aufgetragen wurde.

Die ganze kirchliche Beschäftigung mit der Arbeits- und Arbeiterfrage basiert letztlich genau auf dieser Grundlage. Es geht immer und fundamental um menschenwürdige Verhältnisse in den Arbeitsbeziehungen. Schon in der ersten Sozialenzyklika 1891 nimmt der Papst – ganz im Sinne dessen, was wir heute die „Option für die Armen“ nennen − zum einen die Belange der schutzlosen Arbeiterwahr, zeigt zum anderen aber auch Optionen für den Aufbau einer gerechteren Gesellschaft auf. Beides bleibt uns bis heute ins Stammbuch geschrieben.

Papst Johannes Paul II. kritisiert, dass auch und besonders im modernen Wirtschaftsdenken nicht mehr der arbeitende Mensch in den Blick gelange, sondern dieser funktionalisiert werde: Allein seine „Arbeitskraft“ und das Produkt, das er herstellt, interessiere hinsichtlich der „Kosten“. Gegen diese objektive Dimension stellt er die subjektive Dimension der Arbeit, die besagt, dass die Würde der menschlichen Arbeit sich primär nach der Würde der Person bemisst, die arbeitet. Mithin ist jede menschliche Arbeit gleich an Würde. Die Arbeit ist primär für den Menschen da, nicht der Mensch für die Arbeit (vgl. LE 6,6). Das ist der entscheidende Maßstab für eine menschenwürdige Ordnung und Ausgestaltung der Arbeitswelt.

2. Menschliche Arbeit ist sozial gerecht zu gestalten.

Für die katholische Soziallehre haben sich im Laufe ihrer Entwicklung zwei entscheidende Grundwerte herauskristallisiert, die es miteinander zu realisieren gilt: Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Kurz und bündig könnte man sagen: Soziale Gerechtigkeit bedeutet, die Lebens- und Arbeitsbedingungen so zu gestalten (und das wäre ein Auftrag an die Gesellschaft), dass alle Menschen ihrer Würde und Freiheit gemäß leben und arbeiten und sich ihren individuellen, persönlichen Wertvorstellungen gemäß in Freiheit entfalten können.

So verstandene soziale Gerechtigkeit wird primär realisiert über einen gerechten Lohn, den die katholische Soziallehre von ihren Anfängen an fordert. Ein Lohn wird dann als gerecht bezeichnet, wenn damit dem Arbeiter die Mittel zur Verfügung stehen, um sein materielles, soziales, kulturelles und spirituelles Dasein und das seiner Familie angemessen und in Freiheit zu gestalten.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der oftmals übersetzt wird mit dem Begriff der Fairness. Fairness meint dann, dass für jede und jeden die gleichen Rechte und Freiheiten gelten müssen. Niemand darf diskriminiert werden. Der Fairness zuwider wird etwa dann gehandelt, wenn Menschen in der Arbeitswelt (nehmen wir aus dem Bereich der prekären Arbeit etwa die Zeitarbeiter) hinsichtlich ihrer Rechte und Ansprüchen benachteiligt werden und wie „Arbeiter zweiter Klasse“ erscheinen. Eine Forderung der Fairness lautet dann „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.

Es geht aber nicht nur um die Lohngerechtigkeitsfrage, sondern auch um die nach gerechten Arbeitsbedingungen und nach Arbeitnehmerrechten. So fordert die katholische Soziallehre auch schon von Beginn an, dass die Interessen der Arbeitnehmer durch Arbeitnehmervereinigungen wirksam vertreten werden können, damit diese nicht vereinzelt (und damit machtlos) der geballten Macht des Kapitals gegenüberstehen. Gerade darin artikuliert sich die Dimension der Solidarität, die sozialethisch hoch bedeutsam ist. Von besonderer Relevanz ist dabei, dass die Gewerkschaften den Aktionsradius ihrer Solidarität auf prekär Beschäftigte aus-dehnen.

3. Soziale Gerechtigkeit wird wirksam im System sozialer Sicherheit und braucht Solidarität und Subsidiarität.

Der Blick auf die Solidarität bedeutet in einem weiteren Schritt auch den Einbezug der Fragen der sozialen Sicherheit: Nur auf der Basis eines entsprechenden Standards an Arbeitsplatz- und Einkommenssicherheit können Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ihr Leben und ihre Zukunft planen sowie für ihre Familien sorgen. Arbeit, Erwerbsarbeit dient selbstverständlich immer der Existenzsicherung und dient der Beschaffung dessen, was man zum täglichen Leben braucht.

Solidarität meint sicher dabei auch einerseits die durchaus solidarische Verpflichtung, das zu tun, was man selber tun kann, also so weit wie möglich für den Unterhalt des eigenen Lebens und des der Familie zu sorgen. Neben dem Solidaritätsprinzip klingt hier auch das Subsidiaritätsprinzip an. Aber – und das ist genauso ein Ergebnis der Kombination dieser beiden Prinzipien: Wenn jemand nicht mehr oder noch nicht oder überhaupt nicht aus unterschiedlichen Gründen selber in der Lage ist, sich zu versorgen, muss es Unterstützung geben.

Unser weit ausdifferenziertes soziales Sicherungssystem entlastet in der Tat fundamental von dieser grundlegenden Sorge, denn der subsidiäre Sozialstaat springt genau in solchen Situationen ein. In gewisser Weise ist damit die Sorge um die eigene Existenzsicherung abgefedert. Aber gerade im Blick auf prekäre Arbeit bedeutsam: Es muss eben auch allen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen die Möglichkeit gegeben werden, an diesem System zu partizipieren.

So verstandene Solidarität bringt dann auch mit sich, dass die Fragen nach Generationengerechtigkeit und nach Nachhaltigkeit mitbedacht werden. Arbeit muss es ermöglichen, Leben auf Zukunft hin gestalten zu können – im Blick auf das eigene Leben im Alter, im Blick auf die nächste Generation ebenso wie im Blick auf das Gemeinwohl der Gesellschaft und die Umwelt.

Christliche Soziallehre will und kann mit ihren entscheidenden Grundsätzen einen wichtigen Beitrag leisten, prekäre Arbeit aus dem Prekären herauszuholen, indem sie hilft, Ermöglichungsstrukturen für die Realisierung von gerechter und menschenfreundlicher Arbeit zu etablieren. Ein wichtiges Desiderat im Blick auf kirchliches Handeln bleibt dann aber, solche Forderungen und Strukturen nicht nur ad extra, in die Gesellschaft hinein zu formulieren, sondern dies auch ad intra, in den eigenen Arbeitsverhältnissen zu realisieren.