Wenn wir vom Glauben ausgehen, reden wir besser über eine Theologie mit arbeitenden Menschen

Vom Engel des Herrn auf dem Claas Xerion 5000: Der Sozialethiker Michael Brugger plädiert dafür, die Theologie der Arbeit nachzujustieren

Landarbeit (c) Bild von PublicDomainImages auf Pixabay

Mancher behauptet, Theologie sei die Wissenschaft von Gott. Wer sich aber darauf einlässt, sie als Nachdenken über Glauben von Menschen zu verstehen, kommt auf andere Gedanken. So kann und sollte sich die Theologie der Arbeit zu einer Theologie mit arbeitenden Menschen zuspitzen.

Das ist die These von Michael Brugger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Sozialethik in Tübingen. Er promoviert zurzeit zu den Ethiken der Beschäftigten in systemrelevanten Dienstleistungen. Im Beitrag skizziert der Sozialethiker sein Verständnis von Arbeit, untersucht heutige Gläubigkeit, was er in ihrer Pluralität mit dem markanten Wort der "Glaubereien" subsumiert.

Brugger lädt ein, diese zu erschließen, indem man alle intellektuelle Distanz überwindet und sich in das Leben der Beschäftigten hineinbegibt. Ein solches Mittun, daran lässt der Sozialethiker keinen Zweifel, kann und sollte vor allem politisch geprägt sein, in Konflikten, Kämpfen und Aushandlungen in der Arbeitswelt.

Der Engel des Herrn auf dem Claas Xerion 5000?

Die Theologie der Arbeit nachjustiert zu einer Theologie mit arbeitenden Menschen

Im folgenden Beitrag möchte ich an einen Strang von Überlegungen anknüpfen, der einige Jahrzehnte zurückreicht. Mit Marie-Dominique Chenus „Die Arbeit und der göttliche Kosmos“ wurde das Nachdenken über die theologische Relevanz der menschlichen Arbeit als Erwerbsarbeit wissenschaftlich intensiviert, wenn nicht sogar eröffnet.[i] Seitdem wurde in der wissenschaftlichen Theologie viel über die religiöse Bedeutung der Erwerbsarbeit nachgedacht. Auch die vorgeschlagene Zielrichtung meiner Überlegungen, eine Theologie mit arbeitenden Menschen, ist nicht gänzlich neu. Als Theologie der arbeitenden Menschen wurde ein ähnlicher Weg bereits begangen.[ii] Weil er seitdem etwas zugewachsen ist, erlaube ich mir die Idee einer Theologie der arbeitenden Menschen aufzugreifen und zu einer Theologie mit arbeitenden Menschen zuzuspitzen.

Dafür werde ich zunächst 1) das dafür notwendige Verständnis von Theologie klären und kurz skizzieren, wen ich mit arbeitenden Menschen meine. Anschließend 2) möchte ich mit dem Konzept der Glaubereien ein Verständnis vom Glauben der arbeitenden Menschen anbieten, das meinen Vorschlag 3), christliche Theologie mit arbeitenden Menschen zu machen, grundlegt. Der Systemtraktor Xerion 5000 der Firma Claas und das Angelus-Gebet[iii] sollen beim „Durchackern“ meiner Überlegungen unterstützen.

Theologie als Reflexion auf das Glauben der Menschen

Versteht man Theologie nicht als Wissenschaft von Gott, wie es immer wieder gern mit vollmundiger Selbstverständlichkeit behauptet wird, sondern als Nachdenken über das Glauben von Menschen, ist eine wesentliche Spur für die angestrebte Nachjustierung der Theologie der Arbeit gelegt.

Theologie verstehe ich als die in jeweiligen religiösen Traditionen beheimatete Reflexion auf das vielstimmige Glauben der Menschen an Gott. Diese Reflexion wird in vielen Religionen wissenschaftlich betrieben. Dann ist damit ein rationales, auf Theorie hin orientiertes, durch Ressourcen privilegiertes und kritisches Nachdenken über glaubende Menschen gemeint. Diese Art von Theologien, die von außen auf den Glauben schauen, möchte ich in einer scharfen Trennung Außen-Theologien nennen. Darüber hinaus wage ich zu behaupten: In allen Religionen wird Theologie als Nachdenken über ihr eigenes Glauben außerhalb von Universitäten und religiösen Behörden von den Gläubigen selbst gemacht. Dieses Nachdenken der Gläubigen über ihr eigenes Glauben möchte ich als Innen-Theologien bezeichnen.[iv]

Projiziert man diese Vorüberlegungen auf die Frage nach einer Theologie der Arbeit wird eines augenfällig: Die Rede von einer Theologie der Arbeit ist irreführend. Die Arbeit ist in dieser Formulierung ein essentialisierter Gegenstand – ein abstraktes, klar definierbares Etwas. Im hier vorgeschlagenen Verständnis kümmert sich Theologie jedoch nicht um überzeitliche Abstraktionen, sondern um Einstellungen und Handlungen von Menschen. Und darüber hinaus: Von der Arbeit zu sprechen, vermittelt den Eindruck, als gäbe es sie außerhalb dessen, dass sie jemand tut. So, als gäbe es diese Arbeit in diesem Singular. In Abwandlung einer unsympathischen Referenz ließe sich deshalb sagen: „There is no such work!“ Und damit kann es auch keine Theologie von ihr oder über sie geben, denn die Arbeit ist kein Mensch, und schon gar keine Gläubige, über die es sich nachdenken lässt oder die selbst nachdenkt. Wenn man von einer Theologie der Arbeit sinnvoll reden möchte, sollte man deshalb in einem ersten Schritt von einer Theologie – oder konsequenter – von Theologien[v] der arbeitenden Menschen reden.

Wer sind allerdings nun die glaubenden Menschen, von denen die angestrebte Theologie ausgeht und denen sie sich zuwenden will?

Der begriffliche Ankerpunkt für mein Verständnis von arbeitenden Menschen sind Erwerbsarbeitsverhältnisse. Der weit überwiegende Teil der Menschen ist in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen dazu gezwungen, das zum Leben und darüber hinaus z.B. für einen Audi A6 55 TFSI e quattro oder das iPhone 12 pro max notwendige Einkommen durch Erwerbsarbeit zu „erarbeiten“. Dies tun die Menschen entweder als Selbstständige oder abhängig Beschäftigte. Wie und wie viel sie innerhalb dieser Erwerbsarbeitsverhältnisse tatsächlich tätig sind, also in einem intuitiven Sinn arbeiten, ist jedoch offen und höchst unterschiedlich. Entscheidend dafür, ob sie als „Arbeitende“ anerkannt sind, ist das gesellschaftlich geordnete Vertragsverhältnis.[vi] Das zeigt sich am Fall der Arbeitslosigkeit: Sind arbeitende Menschen „arbeitslos“, heißt das nicht, dass sie nicht tätig sind, sondern vielmehr, dass sie in keiner der beiden Kategorien von Erwerbsarbeit zuhause sind. Deshalb müssen sie Freiheitsbeschränkungen in Kauf nehmen und Lebenszeit und Anstrengung dafür aufbringen, um in solche Verhältnisse zurückzukommen. Dass nicht die tatsächlichen Tätigkeiten darüber entscheiden, ob mit ihnen etwas „erworben“ werden kann, dass sie also gesellschaftlich in ihrem Wert geschätzt werden, zeigt sich auch an der Sorgearbeit. Wie es vor allem Autor:innen im Umfeld feministischer Kritik[vii] deutlich machen: In Familien wird für ganz Junge und ganz Alte viel getan, dass für die Fortentwicklung der Gesellschaft hochrelevant ist. In den weit überwiegenden Fällen wird das jedoch nicht finanziell vergütet oder sozial abgesichert, sondern stillschweigend und im Privaten versteckt in Anspruch genommen. Mit arbeitenden Menschen meine ich also solche, die sich über Einschluss oder Ausschluss um vertraglich geregelte Erwerbsarbeitsverhältnisse gruppieren. Inwiefern sie dabei tätig sind, ist nachrangig. Dass die Erwerbsarbeitsverhältnisse als gesellschaftliche Verhältnisse politisch ausgehandelt und damit einem permanenten Wandel unterworfen sind, sei hier nur kurz erwähnt.

Glaubereien als Schlüssel

Wie ist denn nun aber das Glauben der arbeitenden Menschen zu verstehen, über das Theologien nachdenken sollen? Womit beschäftigen sich die Theologien der arbeitenden Menschen?

Ihr Glauben versprachlichen arbeitende Menschen im gegenwärtigen Kontext der Erwerbsarbeit für gewöhnlich nicht mehr im Rahmen „standardisierter Verfahren“. Die von Foucault beschriebenen Anfangszeiten der Fabrikarbeit, in der die Mönche das Gebet vor Arbeitsbeginn und die Disziplinierung während der Arbeit anleiteten, sind vorbei.[viii] Bis weit ins 20. Jahrhundert war z.B. das Angelus-Gebet zum Mittag auf den Feldern und Äckern katholischer Gemarkung Brauch. Aktuell wird nur noch auf den wenigsten Claas Xerion 5000 um zwölf Uhr mittags „der Engel des Herrn“ gebetet werden. Altenpflegerinnen sieht man zur Zeit der Laudes eher vor der Tür beim Rauchen. Das in ihren Augen reflektierende Blau des Smartphone- Displays kommt vom facebook-Logo, nicht von den Herrnhuter Losungen. Die offensichtliche Karikatur macht es deutlich: Auch wenn die Herrnhuter auf facebook und twitter zu finden sind, das Glauben arbeitender Menschen bewegt sich weitestgehend jenseits solcher frömmigkeitsfixierten und traditionsverknüpften Kanäle. Als Alternative zur Karikatur möchte ich deshalb den Begriff der Glaubereien vorschlagen.

Den Begriff der Glaubereien verstehe ich in keiner Weise geringschätzendend: In Anknüpfung an den im Klang verwandten Begriff der Klaubereien sind sie eine labile, mehr oder weniger bewusste Zusammenstellung aus einer Vielzahl an Möglichem. Mit Bezug aufs Glauben sind es damit schlicht vielfältige Weisen zu glauben. Glaubereien sind situative Deutungen und dauerhafte Einstellungen, aus denen Handlungen entstehen, die sich in Bezug zu einer inhaltlich gefüllten – offenbarten – Transzendenz stellen. Transzendenz ist hier pauschal das Jenseitige, Andere oder Unverfügbare. Diese gläubigen Deutungen, Einstellungen und Handlungen sind individuell kombiniert und integriert. Sie bedienen sich vielfältiger Angebote der Symbolisierung und Versprachlichung. In ihrer Integration und Kombination sind sie nicht zwangsläufig kohärent. Sie nehmen auch im Selbstbewusstsein der glaubenden Menschen einen unterschiedlich großen Stellenwert ein. Auf welche Art und Weise, wann und wo sie offen benannt oder getan werden, ist abhängig von dem glaubenden Menschen. Da es sich um Konstruktionen des glaubenden Menschen handelt, sind sie stark abhängig von den Lebensumständen der Menschen. Angelehnt an Marx bestimmt auch in diesem Fall das Sein das Bewusstsein. Deshalb ist für jene Glaubereien auch die Erwerbsarbeitssituation als bestimmender Teil der Lebensumstände relevant. Dabei wirkt es sich potenzierend auf die Vielzahl vorfindbarer Glaubereien aus, dass Erwerbssituationen erfahrungsgemäß sehr unterschiedlich sind.[ix]

Eine christliche Theologie mit arbeitenden Menschen

Mit der Einführung des Analyse-Schlüssels der Glaubereien möchte ich einen „induktiven Turn“ der Theologie der Arbeit weiterführen, bzw. neu aufgreifen. Ansgar Kreutzer nutzt diesen Begriff in seinen Überlegungen zur Theologie der Arbeit und plädiert damit für „(…) eine Aufnahme von Erfahrungen heutiger Arbeitswelten in eine damit konkrete und zeitgenössische (Gnaden-)Theologie (…).“[x] Von Kreutzers Herangehensweise möchte ich insofern abweichen, dass sich die angestrebte Theologie mit den arbeitenden Menschen nicht an die in wissenschaftlichen Diskursen vermittelten und damit gerechtfertigt pauschalisierten „Erfahrungen heutiger Arbeitswelten“ anschließt, sondern sich den Umständen, Erfahrungen und Glaubereien der arbeitenden Menschen „direkt“ nähert.

Der Titel des angestrebten Programms und auch der Anspruch, dass sich eine solche Theologie den Erfahrungen und Glaubereien der Menschen nähert, macht eines deutlich: Eine Theologie mit den arbeitenden Menschen ist zunächst eine Außen-Theologie im oben eingeführten Sinne. Sie blickt von außen auf das, was und wie die Menschen glauben.

Solche Theologien, die ich mit Lehramts- und Universitätstheologien identifiziere, sind mit Blick auf das Konzept der Glaubereien nur unter einer Bedingung möglich: Sie brauchen Zugänge zu dem, was und wie Menschen, die arbeiten, glauben und wie sie darüber nachdenken. Wollen Außen-Theologien nicht bei Karikaturen der Glaubenden und des Geglaubten stehen bleiben, brauchen sie Empirie, Übersetzungen, nachvollziehbares Wissen von den Glaubereien und Innen-Theologien der arbeitenden Menschen. Sie müssen in Erfahrung bringen, was arbeitende Menschen tun und erleben und ob und wie sie dieses Tun und Erleben mit einem sogenannten und irgendwie bekannten Gott in Verbindung bringen. Frei nach Leonardo Boff müssen sie für sich aufklären, wo und wie Gott schon da ist. Dass Außen-Theologien der arbeitenden Menschen sich bei den Gegenübern ihrer Reflexion nicht an konfessionellen oder Offenbarungsgrenzen festhalten können, erübrigt sich zu erwähnen. Die Klammer für ihr Gegenüber sind die Menschen in und außerhalb der Erwerbsarbeit.

Wie sehen nun eine solche „direkte“ Annäherung und das In-Erfahrung-Bringen von Glaubereien und Innen-Theologien für eine christliche Theologie aus? Meinen Vorschlag möchte ich zunächst von christlichen Traditionen her und dann nochmal von den Glaubereien her begründen.

Eine Theologie mit arbeitenden Menschen, die christlich motiviert ist, kann ihre Eigenart, wie beschrieben, nicht darin erkennen, dass sie sich dezidiert auf christlich Glaubende bezieht. Außerdem sollte sie ihr Glück nicht in oberflächlich-eingrenzenden und beherrschungsfixierten, also fundamentalistischen, Zugängen suchen. Auch wenn solche nach wie vor Anhänger:innen finden, für etwas, dass sich Theologie nennen möchte, sind sie keine Option. Vielmehr sollte ihre Eigenart aus meiner Sicht darin bestehen, mit welchen kritischen Inspirationen und Solidaritäten sie sich den arbeitenden Menschen zuwendet. „Labile Wegweiser“ (Paul Klee) für ein solches Vorgehen findet sie in ihren Traditionen.

Zunächst wird sie selbst von diesen insofern inspiriert, dass sie sich überhaupt an Menschen jenseits ihrer Glaubensgemeinschaft wendet. Auch wenn Einzäunungen einer solchen Gruppe in der späten Moderne schwierig sind, dem Christentum ist ein Sendungsbewusstsein über seinen inneren Kreis hinaus mitgegeben.

Dieses nicht ungefährliche Sendungsbewusstsein hält eine christliche Theologie mit arbeitenden Menschen dadurch im Zaum, dass sie sich als unangekündigten Gast versteht und mehr nachfragt als vorschlägt (vgl. Lk 18). 

Dennoch kann sie nach außen kritisch inspirierend sein. Mit Blick auf ihre alttestamentlichen Traditionen kann sie falsches Bewusstsein, Ideologien und den Götzendienst, die Idolatrie analysieren und kritisieren (vgl. Ex 32). Die befreiende Wahrheit (vgl. Joh 8) bleibt ihr ein Anliegen, dass sie in der Kritik „falscher“ Verhältnisse und der darin verstrickten Menschen, verwirklicht. Die Idole können zum Beispiel so ein Claas Xerion 5000 oder das i mit dem angebissenen Apfel sein. Es sind mit Blick auf die Arbeitswelt – in einer unsystematischen Auswahl – vor allem Hysterietreiber wie „die Digitalisierung“, Erfolgsindikatoren wie EBIT oder BIP, die Verschleierung von Menschen als Humankapital oder die Rede davon, dass ein Unternehmen atmen muss (und es deshalb Menschen durch unsichere Beschäftigung kurzatmig hält). Oder in dieser Rubrik oldie but goldie und in Sharepics wahlweise Konfuzius oder Winston Churchill zugeschrieben: „Choose a job you love and you will never have to work a day in your life!“

Schaut man in die neutestamentliche Offenbarung, wird der Prüfstein unseres christlichen Glaubenshandelns am Ende sein, dass wir gefragt werden, was wir für eine:n der Unbedeutendsten (vgl. Mt 25) getan haben. Damit läuft die genannte theologische Ideologiekritik in eine bestimmte Richtung: Sie nennt diejenigen falschen Verhältnisse beim Namen, die Menschen unbedeutend machen, geringfügig, überflüssig, austauschbar. Und sie inspiriert zu Verhältnissen von der Art: „Bunte Häuser, buntes Leben sollte es für alle geben“ (Auf einem Wernauer Bahnhofsgraffito Volker Ippig zugeschrieben, siehe auch Joh 10).

Dies tut sie, ebenfalls von der Offenbarung des „heruntergekommenen Gottes“ (vgl. Phil 2) inspiriert, nicht von oben herab, unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit, sondern im Anblick ihrer eigenen Glaubereien, die Handlungen sind und damit bestimmte (Nicht-)Solidaritäten. Sie redet nicht zuerst über Menschen in Verhältnissen, sondern sie steht bei denen, die in den gegenwärtigen Verhältnissen kurzgehalten und unbedeutend gemacht werden. Wo die gemachte Unbedeutsamkeit das Selbstbewusstsein der Menschen verkrustet hat, kann die getane (und auf Nachfrage gesagte) Hoffnungsbotschaft von der Fülle, Risse fürs Heil aufkratzen. In den allermeisten Situationen brechen arbeitende Menschen und ihre Vertreter:innen jedoch solche Risse schon selbst auf. Wo dies passiert, kämpfen diejenigen, die christliche Theologie mit arbeitenden Menschen betreiben wollen, geschwisterlich, nicht paternal, mit ebenjenen die Kämpfe um Bedeutsamkeit und gehen in ihrem Nachdenken und Sprechen von diesen aus.[xi] Und genau damit machen sie Theologie mit den arbeitenden Menschen.

Implizit – und hoffentlich irritierend – hat sich im bisher Gesagten eine Wendung ins Missionarische, also in glaubensrelevante Handlungssituationen Gesendete, vollzogen. Ausgegangen waren wir von der theologischen Notwendigkeit von Empirie, gelandet sind wir bei handfesten Solidarisierungen und kritischen Inspirationen in politischen Auseinandersetzungen der arbeitenden Menschen. Augenscheinlich geht es einer christlichen Theologie mit arbeitenden Menschen nicht nur um Beschreibung, sondern um Veränderung. Aber – wird hier nicht die Grenze von Theologie und Pastoral, von Theorie und Praxis, versudelt?

Durch diese schleichende Vereinnahmung soll etwas deutlich werden: Eine christliche Theologie der arbeitenden Menschen lässt sich konsequent nicht außen betreiben. Zugang zu den wilden, queren und (vor-)gefundenen Glaubereien der arbeitenden Menschen bekommt sie nicht nur mit einer teilstandardisierten Fragebogentheologie und – man verzeihe die Polemik – nicht mit selbstgenügsamer Exegese[xii]. Was arbeitende Menschen erleben und glauben, also welche Erfahrungen und welches Tun sie mit „ihrem“ Gott in Beziehung bringen, erfährt man, wenn man mittut. Kritisieren und inspirieren lässt sich das Tun am treffendsten, wenn man die Gründe kennt. Die Grenze von außen und innen verfließt, damit eine Theologie mit arbeitenden Menschen auch als Wissenschaft überhaupt möglich ist. Vereinzelt leisten sich die christlichen Kirchen dafür pastorale Akteur:innen. Allerdings ist die Zahl derer nicht annähernd ausreichend, um einerseits in Anbetracht der Dimension des gesellschaftlichen Verhältnisses „Erwerbsarbeit“ die Glaubereien und Theologien der arbeitenden Menschen „theoretisch“ aufzuschließen und andererseits als Kirchen glaubwürdig geschwisterlich zu handeln.

Die Anlässe fürs Glauben der arbeitenden Menschen entstehen, wo sonst, an den Kipppunkten und Lebensschwellen. In einer christlichen Theologie mit arbeitenden Menschen wendet sich dabei der Blick besonders auf die „Arbeitsschwellen“, auf die erwerbsarbeitsbezogenen Kipppunkte. Mittun gebietet sich deshalb vor allem in individuellen und gemeinschaftlichen Reaktionen auf Konflikte, in Kämpfen und Aushandlungen. Und weil es in einer christlichen Theologie mit arbeitenden Menschen um den Menschen in Erwerbsarbeitsverhältnissen gehen muss, ist dieses Mittun auch niemals nur individuell und intim. Verhältnisse verändern sich, indem man sie politisch kleinschrittig auseinander- und neu zusammensetzt – indem eigene Interessen Räume gewinnen oder verlieren. In diesen öffentlichen Auseinandersetzungen ist eine christliche Theologie mit arbeitenden Menschen zwangsläufig verortet. 

In welche Kämpfe um Bedeutsamkeit die christliche Theologie der arbeitenden Menschen sich dabei einmischt, ergibt sich aus den Kämpfen, die geführt werden. Welche Götzendienste sie als solche benennt, hängt von der aktuellen Mode ab. Welche Macht zementierenden und unbedeutend machenden Erzählungen sie als Schauermärchen entlarvt, hängt von den gerade aktuellen Erzählungen ab. In welchen Worten sie von der Hoffnung spricht, nach der sie gefragt wird (1 Petr 3), knüpft daran an, wer was gerade als Fülle versteht.

Dass sie für oder gegen all das die wahren, also zu mehr Bedeutung, Gerechtigkeit, Freiheit und Fülle führenden Worte und Gesten finden muss, ist einer christlichen Theologie mit arbeitenden Menschen vorrangige Funktion.

Die richtigen Worte finden – die Firma Claas aus Harsewinkel tut das übrigens: Xerion ist der imposante griechische Begriff für den Stein der Weisen. Wenn man es nicht schon selbst gesehen hat, weiß man es also spätestens jetzt: Das ist ein Schlepper mit alchemistischen Fähigkeiten. Dieser Traktor macht GPS-navigiert aus Scheiße Gold. Dass man da den Engel des Herrn nicht mehr braucht, ist offensichtlich. Aber – was braucht man dann?[xiii]

 

[i] Chenu, Marie-Dominique, Die Arbeit und der göttliche Kosmos. Versuch einer Theologie der Arbeit, Übersetzt und eingeleitet von Karl Schmitt, Mainz 1956. Zur Bedeutung von Chenu für die Theologie der Arbeit vgl.: Kreutzer, Ansgar, Politische Theologie für heute. Aktualisierungen und Konkretionen eines theologischen Programms. Freiburg 2017, 244ff.

[ii] Solche Zugänge finden sich bei Gremmels, Christian, Segbers  Franz (Hgg.), Am Ort der Arbeit. Berichte und Interpretationen, München 1981.

[iii] Für diejenigen, die mit dieser Gebetstradition nicht vertraut sind: https://www.ebfr.de/wege-mit-maria/das-angelus-gebet-der-engel-des-herrn/, zuletzt abgerufen am 20.01.21.

[iv] Mein Theologie-Konzept überschneidet sich mit dem von Christian Bauer und Monika Kling-Witzighausen geprägten Begriff der Leutetheologien. Ein kürzerer Beitrag zum Thema von Monika Kling-Witzighausen findet sich hier: https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zpth/article/view/2293, zuletzt abgerufen am 19.01.21. Beide haben kürzlich Aufsätze zum Thema in diesem Band veröffentlicht: Slunitschek, Agnes, Bremer, Thomas (Hgg.), Der Glaubenssinn der Gläubigen als Ort theologischer Erkenntnis. Praktische und systematische Theologie im Gespräch, Freiburg/Brsg. 2020.

[v] Dass es in einem solchen Verständnis eigentlich auch keine substantivierte Theologie geben kann, mag dem/der aufmerksamen Leser:in aufgefallen sein. Ich vernachlässige diesen Aspekt aufgrund des Anliegens der Argumentation.

[vi] An dieser Stelle sei erwähnt, dass sich diese Überlegungen zunächst an das Verständnis von Erwerbsarbeit von Matthias Möhring-Hesse anlehnen. Vgl z.B. hier: http://www.ethik-und-gesellschaft.de/ojs/index.php/eug/article/view/2-2008-art-6, zuletzt abgerufen am 19.01.21. Sie grenzen sich damit implizit zu einer Betonung des Arbeitens als Tätig- und Schöpferischsein ab, wie sie sich im Ansatz von Dorothee Sölle findet. Dieser Ansatz wird von Sonja Sailer-Pfister intensiv rezipiert. Vgl. z.B. hier: Sailer-Pfister, Sonja, Mit-Schöpfung durch Arbeit und Liebe. Theologische Überlegungen von Dorothee Sölle, in: Biesinger, Albert, Schmidt, Joachim (Hgg.), Ora et labora. Eine Theologie der Arbeit, Ostfildern 2010, 61-90. Einen Überblick über ihre Dissertation zu einer Theologie der Arbeit findet sich hier: http://www.ethik-und-gesellschaft.de/ojs/index.php/eug/article/view/1-2008-rez-1, zuletzt abgerufen am 19.01.21. Dass meine Argumentation an anderen Stellen mit Begriffen wie Ideologiekritik oder Befreiung womöglich an Konzeptionen der beiden Autorinnen entlangschrammt, ist – das gestehe ich zu meiner Schande – weniger einer intensiveren Beschäftigung mit deren Positionen als augenscheinlichen gemeinsamen theologischen und philosophischen Sympathien geschuldet.

[vii] Interessant dazu: Haubner, Tine, Grenzen der Gemeinschaft. „Caring Communities“ im Kontext der Pflegekrise, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Pflege. Praxis – Geschichte – Politik, Bonn 2020, 42-56, bes. 42-46. Oder: Motakev, Mona, Prekarisierung, Bielefeld 2015, bes. 71.

[viii] Vgl. Foucault, Michel, Überwachen und Strafen, in: Ders., Die Hauptwerke. Mit einem Nachwort von Axel Honneth und Martin Saar, Frankfurt a.M. 2013, 853.

[ix] Ein gründlich ausgearbeiteter Glaubensbegriff findet sich bei Matthias Möhring-Hesse, z.B. hier: http://www.ethik-und-gesellschaft.de/ojs/index.php/eug/article/view/1-2008-art-2, zuletzt abgerufen am 19.01.21.

[x] Kreutzer, Politische Theologie, 244.

[xi] Nicht nur beim theologischen und kirchlichen Respekt vor der Autorität der arbeitenden Menschen ist der Artikel von den wunderbar bildhaften Überlegungen Hans-Joachim Sanders inspiriert. Vgl. Sander, Hans-Joachim, Das Recht auf Arbeit und die verletzten Menschenrechte arbeitender Menschen. Andersorte Gottes – Die Pastoral des Arbeitens nach Gaudium et Spes, in: Biesinger, Albert, Schmidt, Joachim (Hgg.), Ora et labora. Eine Theologie der Arbeit, Ostfildern 2010, 91-115, hier: 110f..

[xii] Wenn sich Exeget:innen an dieser Stelle von meiner Polemik herausgefordert fühlen und meiner eigene Steinbruch-Exegese zum Thema kritisieren wollen, freue ich mich. Interessant zum Thema: Füssel, Kuno, Füssel, Eva, Der Verschwundene Körper, Neuzugänge zum Markusevangelium, Luzern 2001. Neuere Biblische Exegese zum Thema Arbeit findet sich hier: Söding, Thomas, Wick, Peter, Würde und Last der Arbeit. Beiträge zur neutestamentlichen Sozialethik, Stuttgart 2016. Berhard Emunds kurz und knackig zu Paulus‘ „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“: https://www.kiz-online.de/Sozialethiker-Bernhard-Emunds-ueber-die-Pflicht-zur-Arbeit, zuletzt abgerufen am 19.01.21.

[xiii] Den Hinweis auf die magischen Fähigkeiten des Claas Xerion 5000 verdanke ich meinem Neffen Maximilian, der dieses Gerät im Maßstab 1:16 nutzt und verehrt. Zur Diskussion über die Vor- und Nachteile von Systemtraktoren vgl. hier: https://www.landwirt.com/Forum/528126/Standardtraktoren-versus-Systemtraktoren-.html, abgerufen am 23.12.2020.