Mein persönlicher Wunsch für die Zukunft? Dass das Leben nicht mehr so durcheinander ist

Interview mit einer Hauswirtschafterin, die wegen Corona wiederholt in Kurzarbeit gehen musste. Sie vermisst den geregelten Arbeitsalltag

Gedanken (c) Bild von Anemone123 auf Pixabay

Marlis W. ist 51 Jahre alt, verheiratet, zwei Kindern. Das jüngste geht in die vierte Klasse der Grundschule am Ort. Die älteste Tochter ist 14 Jahre alt und besucht die Gesamtschule. Marlis Mann arbeitet Vollzeit in einem metallverarbeitenden Betrieb, der sich auf Trägersysteme für Solaranlagen spezialisiert hat. Marlis selbst hat nach der Realschule eine Ausbildung als Hauswirtschafterin in einer Einrichtung der Diakonie absolviert und anschließend dort 12 Jahre in Voll- oder Teilzeit gerne gearbeitet. Seit nunmehr 16 Jahren arbeitet sie in einer verbandlichen Bildungseinrichtung im Service der Essensausgabe, aber auch – wenn „Not an der Frau“ ist – im Reinigungsbereich in einer Teilzeitbeschäftigung. Die Stelle hat Marlis gewechselt, da in der Bildungseinrichtung „feste Arbeitszeiten“ gegeben sind, ein gutes soziales Klima unter den Mitarbeiter*innen herrscht und sie deutlich kürze Anfahrtswege zur Arbeitsstelle hat als vormals. Marlis ist derzeit – November 2020 – erstmals in Kurzarbeit „Null“. In den vergangenen Monaten seit dem ersten Corona-Lockdown Mitte März war Marlis in unterschiedlichen Kurzarbeitsverhältnissen, mal Kurzarbeit 20, 40 oder 60. Wie die Entwicklung weiter gehen wird, ist ungewiss.

„In den ersten Tagen auf Kurzarbeit Null habe ich gedacht: Was willste machen, kann ja keiner was für, auch nicht schlecht, dann lasse ich es mal ruhiger angehen. Die Kinder waren ja weiterhin in der Schule, anders als im ersten Lockdown. Das war schon stressig und ich mussten ja auch noch flexibel hin und her, je nachdem, was gerade auf der Arbeit anlag. Für uns alle war das eine ziemlich anstrengende Zeit.“ In den ersten beiden Wochen Kurzarbeit Null hat Marlis den „Haushalt auf Vordermann“ gebracht – wie sie sagt. „Aber da bin ich jetzt durch. Irgendwas ist hier zuhause mit zwei Kindern zwar immer tun, aber langsam fange ich an, die Arbeit hier zu suchen. Jetzt warte ich darauf, dass es irgendwann wieder auf der Arbeitsstelle los geht.“

Der Tagesablauf in der Familie hat sich verändert. Da Marlis in der Regel von 11:00 bis 15:00 Uhr in „normalen Zeiten auf der Arbeitsstelle“ ist, gehen die Kinder nach der Schule normalerweise zu den Großeltern, die in der Nähe wohnen. „Jetzt kommen die nachhause und ich habe gekocht. Irgendwie bin ich wieder eine richtige Hausfrau geworden (lacht). Morgens Frühstück mit allen, dann Mittagessen kochen, Abendessen. Der Tag hat eine Struktur, aber zwischenzeitlich gibt es auch Leerlauf und dann fehlt irgendwie was… Viel Zeit geht einfach fürs Einkaufen drauf. Für Oma und Opa muss dabei auch gesorgt werden, denn die sollen in ihrem Alter zuhause bleiben… Und was alles schnell erledigt werden muss. Da ändern sich die Schulzeiten dauern, Mama muss mit dem Auto am Start sein und dann muss auch noch was für die Laune getan werden.“

In normalen Zeiten sei alles geregelter gewesen, so Marlis, jetzt stelle jeder Tag neue Anforderungen, dieses oder jenes kurzfristig zu erledigen. „Hinzukommt die Ungewissheit, wie es weitergeht. Da ist ja nicht nur die Arbeit. Da denke ich, wird es so weitergehen wie vorher, wenn alles vorbei ist... Nur irgendwie werden wir in der Familie wieder neu durchstarten müssen. Das pendelt sich ja nicht alles so einfach wieder ein, wenn ich wieder arbeiten gehe. Obwohl das ja alles erst seit ein paar Monaten mit dem Kurzarbeitergeld und dem Coronavirus läuft, kann ich mir manchmal gar nicht mehr vorstellen… wie es vorher war. Ist schon irgendwie komisch.. wie schnell sich das verändern kann… Das ganze Leben ist durcheinander…“

Marlis hält Kontakte zu ihren Arbeitskolleginnen. „Mit einigen Kolleginnen telefoniere ich jetzt täglich. Das ist uns ganz wichtig, denn alle haben ja Sorgen… Aber die Stimmung ist angespannt, aber unter uns eigentlich gut, wenn auch nicht bei allen… Einige haben schon ein Päckchen zu tragen… Da läuft es nicht rund… Da gibt es große finanzielle Sorgen… Kurzarbeitergeld ist eben Kurzarbeitergeld und kein Monatslohn…“ Die eigenen finanziellen Verhältnisse der Familie bezeichnet Marlis als „stabil“. „Mein Mann hatte in den letzten Jahren schon Einbußen, denn in der Solarbranche lief es nicht so gut, aber das sieht seit Anfang dieses Jahres wieder deutlich besser aus. Er fährt Überstunden. Das gleicht einiges aus… Hoffen wir, dass es so bleibt. Keiner weiß ja, was kommen wird… Urlaub haben wir keinen gemacht. Das spart auch (lacht). Das Haus ist abbezahlt. Da sind wir ganz froh drum, denn da haben einige richtig zu krebsen… Mehr Geld, würde ich mal so gefühlmäßig sagen, geben wir für Lebensmittel aus. Und fürs Tanken. Wir haben nie über unsere Verhältnisse gelebt. So sind wir beide erzogen worden… Wenn das mit der Kurzarbeit so weitergeht und die Überstunden wegfallen, dann wird es bei uns natürlich auch enger… Da reden wir derzeit nicht drüber…“ Kurzarbeitergeld hält Marlis prinzipiell „erstmal für eine gute Sache. Lieber Kurzarbeit als gekündigt werden. Da hat keiner was von.“

Marlis ist dennoch angespannt: „Manchmal bin ich richtig genervt. Abends bin ich derzeit oft kaputter als wenn ich auf der Arbeit war. Da frage ich mich immer: warum? Es liegt an der nervlichen Anspannung, der Unsicherheit, die sich ja einfach nicht wegreden lässt… Mir fehlt so irgendwie die… Leichtigkeit. Man kann ja auch spontan nichts entscheiden… Mit Freunden treffen geht derzeit nicht… So hängt man in der Familie fest, okay ja, die Nachbarn und Oma und Opa in der Nähe… mit denen redet man viel… klar… Einkaufen und man trifft irgendwen… Richtig feiern waren wir das letzte Mal im Januar… Wie soll ich es sagen… Ich fühle mich eingeengt, aber das geht vielen anderen wohl auch so… Und überall muss man aufpassen… Corona eben…“

Was sie sich für die Zukunft wünscht? „Ach, da kann ich gerade nicht so richtig was zu sagen. Erstmal sollten alle gesund bleiben. Das ist das Wichtigste! Natürlich wieder diese normalen Abläufe, wieder normal Arbeiten und so… Mehr so einen geregelteren Alltag… Einfach wieder freier sein können, mehr machen und weniger grübeln… Dass das Leben einfach nicht mehr so durcheinander ist… - würde ich mal sagen.“

Der Name wurde für den Beitrag auf Wunsch der Interviewten anonymisiert. Die angeführten Aussagen beruhen auf zwei Telefoninterviews. Eine „persönliche“ Interviewführung war aufgrund der Corona-Pandemie kurzfristig nicht möglich. Die zwei Telefoninterviews wurden am 06.11.2020 und 10.11.2020 geführt. Interviewführung und Verschriftlichung Dr. Michael Schäfers.